21.11.2013 | theaterkritiken |von Anna Steinbauer

 

In Julie Van den Berghes Inszenierung von Franz Kafkas „Amerika“ an den Münchner Kammerspielen tanzt Katja Bürkle Striptease mit einem Stars-and-Stripes-Bikini

 

Frauen waren Kafka nie ganz geheuer. Er schrieb lieber Briefe, als sich mit ihnen zu treffen. Nähe und Bindung waren einfach nicht so sein Ding. Kein Wunder also, dass meist rätselhafte und hysterische, stets etwas übergriffige Frauengestalten in Kafkas Werk auftauchen. In Julie Van den Berghes Inszenierung von Kafkas unvollendetem Roman „Amerika” im Spielraum der Münchner Kammerspiele sorgen diese wenigstens für ein bisschen Stimmung in den sonst eher uninspirierten zwei Stunden.
 
Allen voran die psychotische, masochistisch veranlagte Klara, die sich gerne auszieht und es auf Männer im Allgemeinen und den Protagonisten Karl Rossmann im Besonderen abgesehen hat. Bei ihrem ersten Auftritt legt Katja Bürkle als blondierte Bitchy-Barbie-Klara eine skurrile Striptease-Show mit Stars-and-Stripes-Bikini hin, im Hintergrund schnurrt Elvis „You look like an angel“. Schließlich befindet man sich in Amerika, das dürfte nach zwanzig Minuten, dem fünften von den Schauspielern performten Elvis-Song und dem unlustigen Pseudo-American-Accent des Mack, gespielt von Max Simonischek, auch der letzte Zuschauer verinnerlicht haben. Ein Engel ist Klara nun wirklich nicht, genauso wenig wie die Oberköchin, das Zimmermädchen und die Sängerin Brunelda, die übrigens keine fette Walküre wie bei Kafka ist, sondern eine begehrte Sexbombe.
 
Die fragmentarisch gebliebene Romanvorlage, die auch unter dem Titel „Der Verschollene“ bekannt ist, in ein Theaterstück umzumodeln, ist auf jeden Fall ein ambitioniertes Unterfangen. Wie auch in den anderen beiden unvollendeten Kafka-Romanen „Prozess“ und „Schloss“, steht hier ein Individuum undurchschaubaren Ordnungsapparaten und Machtstrukturen hilflos gegenüber: Nachdem der 17-jährige Karl Rossmann ein Dienstmädchen geschwängert hat, wird er von seinen Eltern ins amerikanische Exil geschickt, wo er in einen unendlichen Kreislauf des Verstoßenwerdens und Schuldigseins gerät.
 
Der Inszenierung gelingt es nicht, die für Kafka so typische verstörende Beklemmung und Resignation angesichts der ausweglos erscheinenden Situation zu transportieren. Zu klamaukig sind einige Nebenfiguren angelegt, zu platt und beliebig erscheint die Amerika-Kulisse. Die Figur des Karl von zwei Schauspielern spielen zu lassen, ist zwar originell, missglückt aber trotzdem. Was in der Inszenierung des „Process“ von Andreas Kriegenburg 2008 an den Kammerspielen grandios gelang – die Identität des Herrn K. wurde durch mehrere Schauspieler aufgelöst –, wird in der Aufführung der niederländischen Regisseurin zum Verhängnis: Christian Löber spielt den einen Karl und übernimmt die undankbare Rolle der konturlosen Erzählerfigur. An einigen, nicht nachvollziehbaren Stellen darf er kurz mal der andere, erlebende Karl sein, der sonst von Stefan Hunstein verkörpert wird.
 
Da ist einzig die Liftszene im Hotel ein Lichtblick, was vor allem dem Bühnenbild von Karolien De Schepper und Christophe Engels zu verdanken ist: Für kurze Zeit entspinnt sich um den mannshohen Holzschrank in der Mitte der Bühne, hinter dem die sichtbar geöffnete Bodenklappe das rasche Ein- und Ausgehen der unterschiedlichen Figuren ermöglicht, ein kafkaeskes Szenario. Das ständige Klingeln des Aufzugs, die immer schneller werdende Abfolge unterschiedlicher Charaktere, die Druck auf den gestressten Liftboy Karl ausüben, so dass er mit den zu erfüllenden Aufgaben nicht mehr hinterherkommt. Zum ersten Mal spürt man das beklemmende Gefühl des Nichtgenügenkönnes und die Verzweiflung daran. Das ist Kafka. Auch wenn wir von ihm nicht mehr erfahren haben, wie es denn nun ausging mit Karl und dem Zimmermädchen. Die trifft er nämlich ganz zum Schluss im Theater in Oklahoma wieder. Geheiratet haben wird er sie wohl nicht.

 

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